Ich wollte die Ruhe genießen. So, hab ich gedacht, prima Mimi, die Wahl ist vorbei – und du bist – Gott sei Dank! – nicht Oberbürgermeisterin geworden. Persönlich, also für mich, und nur für mich betrachtet, was das genau das, was ich mir gewünscht habe: Dass dieser Kelch an mir vorübergeht. Ich wäre eine gute Oberbürgermeisterin geworden, vielleicht die Beste, die Ihnen in dieser Situation hätte passieren können, ich hätte alles gegeben, alles getan um uns durch diese Zeiten zu bringen, die nun kommen, aber ich habe das Amt nie aus persönlichen Motiven angestrebt. Ich mußte das tun, weil ich es Ihnen schuldig geblieben bin. Ihnen – und auch mir. Für mich wäre es staatsbürgerliche Pflicht gewesen, wie es auch die Kandidatur schon war. Die Aussicht darauf, 6 Jahre meines Lebens hergeben zu müssen, reales privates Glück zugunsten einer angenommenen gesellschaftlichen Verpflichtung hintanstellen zu müssen, günstigstenfalls, war keine schöne. 6 Jahre Leben hatte ich am Sonntag gewonnen – auch wenn mir nicht danach war, das zu feiern. Als ich mit meinem Mann am Montag zurück nach Hamurg fuhr, ist mir aber dann erstmal mit jedem Kilometer Entfernung besser, leichter geworden. Prima, dachte ich, ganz prima – nun kann ich endlich dieses Kapitel abschließen. Ich hatte alles gegeben, alles versucht – nun würde ich in Hamburg endlich heimwehbefreit leben können… Die ein oder andere Sache war da noch, die da irgendwie noch in mir grub, – aber das, so sagte ich mir, würde vergehen, ein, zwei Tage, ein bißchen Schlaf, dann wären auch die letzten Zornesfalten geglättet, der letzte Ärger verflogen – und dann könnte es los gehen, mein neues, völlig von Visionen und Illusionen befreites Leben. Und es würde schöner werden, als jemals zuvor. Einige quälende Fragen, die mich die letzten beiden Jahrzehnte begleitet hatten, würde ich mir nie wieder stellen müssen. Eine glorreiche Niederlage, die ich da eingefahren hatte. Für mich: ein grandioser Sieg. Ein paar Tage noch, dann würde ich wieder in den Tag reinschreiben können…
Als erstes schrieb ich, gleich Montag, so wie immer, eine Kolumne. Das heißt: ich fing an, sie zu schreiben. Sehen Sie mal, hier:
„Und gezz?“ hatte Anton, dem Bommel sein Enkel, sein Oppa entgeistert angestarrt, nachdem der ihm den Schlüssel vonne Bude inne Hand gedrückt hatte. „Gezz? Gehört die Bude dir! Mach bloß nix draus, Junge, führ se einfach nur weiter wie bisher.“ Hertha stellte die Pfanne auffet Pflaster und zooch die Jalousie vor den Schalter, wie se datt jeden Ahmt gemacht hatte, all die Jahre. „So.“ hattse gesacht, „datt wart dann. Nich runterknallen lassen, hörße, sampft, ganz sampft runnerlassen – dann hält die nochma fümmenzwanzich Jahr!“ „Im Ernst, gezz?“ Anton waa fassungslos. „Ihr könnt doch nich gehn!“ „Doch“ hatte Bommel gesacht „wir können, sieße doch! Wir ham hier nix mehr zu verliern. Die Bude hass du ja gezz!“ Dann hadder „Omma“ Hertha geherzt, se auffe Schnute geküsst. „Komm, Mutter, wir gehn!“ Und datt hamse dann auch gemacht. Sind gegangen. Der Sonne entgegen. Watt Sie gezz schmerzen, abber mich freun wird: Die beiden ziehn zu mir nach Hamburch. Schabrowski und Pollen-Kuat übrigens auch. Anne Essenerstrasse, inne Schwaazwaldsiedlung. Bommel wollt ja immer in Schwaazwald sein Lebensherbst genießen, Hertha anne See. Datt hatte zu manche Streiterein geführt, je näher die Rente rückte, abber als se bein letzten Besuch hier die Siedlung entdeckten, da waa ein genialen Kompromiss gefunden worden. Mit ein Hauch von Zeche. Pollen-Kuat hatte seine Fühler ma nache Hamburger Kleingaatenvereine spielen lassen und sich bei der hanseatischen Imkervereine informiert – und waa ebenfalls zu den Schluss gekommen, datt Hamburch gezz datt Land wär, wo Ziegenmilch und Honich für ihm und Schabrowski fließen würden. Die beiden waarn ja schonn immer ein Paar. Und wohnen gezz bei de Boerner. Au ne Siedlung. Au umme Ecke…
Da bricht die Kolumne dann ab. Mir war eingefallen, dass ich die ja nicht einfach alle nach Hamburg ziehen lassen kann. Ohne eine Erklärung. Wenigstens warum müsste ich ja irgendwie erzählen. Also brach ich ab – und wollte erstmal eine andere Kolumne schreiben, eine, die sie auf den Abgang vorbereitet…
Vielleicht sollt ich Ihnen doch ersteinmal was über die Schriftstellerei erzählen. Nicht im allgemeinen – mehr so… im Besonderen.
Also von meiner….
Is doch bisken später geworden. Gestern wollte ich ja noch nachlegen – bin aber dann beim Studium von Männerfreundschaften hängengeblieben. Hatte ich ja gesagt: da muss ich noch einiges drüber lernen. Und zwar nicht bei doing. Nicht alle Theorie ist grau… Und heute vormittag hab ich mich vergnügt. Muss ja auch mal sein, Frischluft, vielviel Frischluft, wenn man zu lange die Nase in Dinge steckt, die einen was angehen. Haben Sie übrigens schon das Plakat von Frau Janicki gesehen? Das „Nummerngirl“ ? Hier.
„Welchen Schal trägt Adolf Sauerland auf seinem Plakat?“. Das war eine der Eminem wichtigen Fragen, die die örtliche Presse im Laufe dieses Wahlkampfes gestellt hat. Man hätte viele Fragen stellen können, noch mehr sogar stellen müssen, wäre man wirklich interessiert gewesen an den Vorgängen in dieser Stadt, über die zu wissen für uns lebenswichtig sind. Fragen, deren Beantwortung wichtig gewesen wären für die Meinungsbildung der Duisburger. Was uns zuteil wurde war: Hofberichterstattung und „dumm Tüch“. Und was taten die Parteien Ihrerseits, um uns zu informieren? Tausende von Plakaten mit „dumm Tüch“, jede Menge gedruckter Absichtsbekundungen, warme Händedrucke, joviales Lächeln. Wurde irgendwem irgendwo „auf den Zahn“ gefühlt? Hat es wirklich ernsthafte Debatten, ernstzunehmende Auseinandersetzungen gegeben über das was war – und das, was sein wird? Nein. Ein gesellschaftlicher Diskurs fand nicht statt, wurde nicht angeregt und war offenbar von keiner der „gesellschaftlich relevanten Gruppierungen“ gewollt. Es gab ein „Wahlgeblubbere“ – aber keine politische Auseinandersetzung die über das Absondern der üblichen Sprechblasen hinausging. Und dieses ganze „Nichts“ vor dem Hintergrund einer weltweiten Wirtschaftskrise, deren erste Auswirkungen noch nichteinmal voll bei uns angekommen sind und an deren Anfang wir erst stehen – und nicht, wie uns vorgelogen wird, an deren Ende. Milliarden und Abermilliarden wurden zur Rettung von HRE und anderen Banken aufgebracht, von denen wir nun lesen, daß sie alles andere als gerettet sind, deren Krise bewältigt werden soll, von denen, die sie verursacht haben und denen nach wie vor, wie bei der HSH-Nordbank, Boni und andere Vergünstigungen auch weiterhin zugestanden werden. Wir stehen vor unvorstellbar schweren Zeiten – und niemand, wirklich niemand hält es für nötig, in angemessener Form das Gespräch mit den Bürgern einer Stadt zu suchen, die von den Auswirkungen dieser Krise überrollt zu werden droht. Man macht weiter wie bisher: man baut und baut und baut – trotz aller sichtbaren Leerstände, man widmet sich der Hochkultur, die man ebenfalls durch findige Modelle auf die „sichere Seite“ gebracht hat – und „muss“ leiderleiderleider an freiwilligen Leistungen sparen, man bedient sich PPP und anderer obskurer Vertragsmodelle um die Pleite zu kaschieren – und reisst uns noch mehr in den Abgrund. Ansonsten schon man sich die Schuld für Vergangenes gegenseitig zu, man reklamiert vermeintliche Erfolge wechselseitig für sich und streitet allenthalben um die Urheberschaft von Projekten, nach denen es keinen Bürger je verlangt hat. Wahlkampf ? Wo waren die Debatten? Wo klar umrissene Lösungsmodelle? Wo ernstzunehmende Ursachenforschung bei Mißständen? Dies alles hatte nichts zu tun mit dem, was ich einmal als „Demokratie“ schätzen und lieben gelernt habe. Dies alles ist zu einem mehr oder weniger würdelosen Spektakel verkommen, auf das nicht einmal mehr die Bock haben, die es veranstalten. Der allgegenwärtige und sichtbare kulturelle Verfall hat auch vor der Politik selbst, die ihn ja befördert hat, nicht Halt gemacht. Unsere gesamte Kultur droht zu verkommen – auch die politische, auch die demokratische – und alle, ausnahmslos alle tragenden Institutionen, alle gesellschaftlichen Säulen, sind an diesem Verfall beteiligt – oder setzen ihm doch zumindest nichts Entschiedenes entgegen. Die deutlichsten Vorhaltungen muß man jedoch „der Presse“ machen. Sie allein hätte die Macht gehabt, diesem Verfall – auch der politischen Kultur – entgegenzu-treten. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, all die Dinge zu thematisieren, die der Bürger, der Wähler wissen muss, wenn er wirklich eine „reife“ Entscheidung treffen soll. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, durch freie und umfassende Information dafür Sorge zu tragen, daß die von der Poltik herbeigeführte Politikverdrossenheit, nicht zu einer Demokratieverdrossenheit wird. Sie hätte tun können, was Poltiker seit 2 Jahrzehnten unablässig versäumt haben: Die Menschen für die Demokratie begeistern können – einfach nur, in dem man sie umfassend informiert, in dem man die Fragen stellt, die ohnehin alle auf den Strassen bewegen. Man hätte dafür sorgen können – und nach meiner Auffassung auch sorgen müssen – dass ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs überhaupt stattfinden kann. Das tat man nicht nur nicht – sondern man beförderte obendrein auch noch die Selbstdarstellungsgelüste derer, denen hier ohnehin schon mehr als genug „Spielraum“ dafür geboten wird….